Thronrede 2022
Mitglieder der Generalstaaten!
Wir leben in einer Zeit der Widersprüche und der Unsicherheit. Es ist widersprüchlich, dass Existenzsicherheiten unter Druck stehen und Armut zunimmt, während die Wirtschaft wächst und die Arbeitslosigkeit niedrig ist. Ein Widerspruch ist es, dass Menschen sich in unserem freien Land nicht frei fühlen, ihre Meinung zu sagen, aus Angst vor heftigen Reaktionen oder sogar Bedrohungen. Und besorgniserregend ist auch, dass Menschen in einer erwachsenen Demokratie wie der unseren das Vertrauen in die Fähigkeit von Politik und Verwaltung verlieren, Lösungen zu finden. Zugleich wächst die Unsicherheit der Menschen über das Morgen und die fernere Zukunft. Über Kaufkraft und Wohnungsnot. Über die Aufnahme von Asylbewerbern und den Krieg in der Ukraine. Aber auch über die großen Veränderungen, die in Bereichen wie Arbeitsmarkt, Klima, Energie und Stickstoffbelastung auf uns zukommen. All diese Themen entscheiden darüber, wie wir und unsere Kinder in Zukunft wohnen, arbeiten, unternehmerisch handeln und zusammenleben werden.
Wir können aber Halt finden in der Art und Weise, wie unser Land in der Vergangenheit schrittweise große Veränderungen angegangen ist. Die Dinge der Reihe nach in Angriff zu nehmen ist dabei von wesentlicher Bedeutung. Nicht alles kann und muss gleichzeitig geschehen, auch nicht hier und heute. Oft wird uns erst im nachhinein klar, wie einschneidend Entwicklungen gewesen sind. Denken Sie etwa an die Zeit der industriellen Revolution oder, in der jüngeren Vergangenheit, an die Einführung des Internets. Denken Sie an die großen Flurbereinigungen und den Bau großer neuer Wohnsiedlungen in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Oder denken Sie an die schwierige Phase des Wiederaufbaus nach dem Krieg.
So sprach meine Großmutter im Jahr 1948 bei ihrer Amtseinführung folgende Worte zu Ihren Vorgängern. Ich zitiere:
»Wir befinden uns in diesem Augenblick der Weltgeschichte in einem Zustand, in dem alles darauf ankommt, wie wir uns zu drohendem neuen Unheil verhalten. Die Niederlande sollten sich nicht nur in den wilden Wogen des Weltgeschehens über Wasser halten. Sie sollten selbst ihren Kurs bestimmen und überdies zusammen mit den anderen Völkern den Kurs für die ganze Weltflotte abzustecken suchen.«
Ende des Zitats. In jenen unsicheren Jahren haben unsere Eltern und Großeltern Zusammenhalt und Stärke gezeigt. Uns wird jetzt, unter ganz anderen Bedingungen, dasselbe abverlangt. Damit stehen die Niederlande übrigens nicht allein. Andere Länder stehen vor ähnlichen Aufgaben. Niemand kann vorhersagen, wie die Welt aussehen wird, wenn die Kinder von heute selbst Kinder haben werden. Sie wird aber anders sein, denn unsere heutige Art zu leben stößt an wirtschaftliche, soziale und ökologische Grenzen. Dazu braucht es eine andere Wirtschaft und einen anderen Arbeitsmarkt. Einen anderen Umgang mit Raum und Natur. Andere Formen des Wohnens, des Arbeitens, des Unternehmertums und des Reisens. Und andere Formen des gesellschaftlichen Miteinanders. Was sich nicht ändern wird: dass Zusammenarbeit die Niederlande stärker macht, nicht Polarisierung. Dies galt und gilt zu allen Zeiten.
Die Regierung ist sich der kritischen Haltung der Bürger gegenüber der Arbeit von Politik und Verwaltung bewusst. Zugleich ist nach wie vor eine große Mehrheit mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden. Für die Regierung ist dies – so schwierig und umstritten es auch sein mag – Ansporn, all die Maßnahmen zu treffen, die unumgänglich sind, und darüber offen und transparent zu kommunizieren. Anfang des Jahres brachte die Regierung eine ehrgeizige Zukunftsagenda für die Zeit bis 2030 und danach auf den Weg, in der Überzeugung, dass kommende Generationen, wie wir auch, ein gutes Leben in einem sauberen und sicheren Land mit Chancen für alle führen können müssen. Diese Perspektive verdienen alle Menschen gleichermaßen, unabhängig von Glauben, sexueller Orientierung, Alter, Herkunft, Ausbildung oder Beruf. Einwohner von Stadt und Land. Hier und im karibischen Teil der Niederlande, im Zusammenwirken mit Aruba, Curaçao und Sint Maarten.
Generationen vor uns legten das Fundament für den Wohlstand und die freie Lebensart, die für unser Land so prägend sind. Nun wird diese Art zu leben von der brutalen Aggression Russlands gegen die Ukraine bedroht. Seit 1945 leben wir in den Niederlanden in Frieden. Jetzt findet nicht weit von uns ein Krieg statt, der auch ein Angriff auf die internationale Rechtsordnung und damit unsere eigene Freiheit ist. Alle Jahre wieder am 4. und 5. Mai kommt es uns leicht über die Lippen: Die Werte der Freiheit und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeit und müssen immer wieder aktiv mit Leben gefüllt und weitergereicht werden. Jetzt werden wir mit der Frage konfrontiert: Was ist uns dies konkret wert – moralisch, aber auch materiell? Die gewährte Gastfreundschaft und alle Hilfe, die in den Niederlanden umgehend mobilisiert wurde, geben darauf eine erste Antwort.
Die Regierung tritt aus Überzeugung ein für militärische und humanitäre Hilfe für die Ukraine, internationale Sanktionen gegen Russland sowie Einigkeit und enge Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union, der NATO und der Vereinten Nationen. Die Ukraine hat das vollste Recht, sich selbst zu verteidigen. Einmal mehr erweisen sich EU, NATO und UN als die Anker der niederländischen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Regierung konnte die geplanten zusätzlichen Investitionen in die Verteidigung mit breiter parlamentarischer Unterstützung beschleunigen und ausweiten. Das ist notwendig angesichts der Tatsache, dass verschiedene Länder heute eine Weltordnung anstreben, in der das Recht des Stärkeren gilt. In einer solchen Welt würden Demokratie, Souveränität und Freiheit ausgehöhlt. Dagegen müssen die Niederlande gemeinsam mit ihren internationalen Partnern einen Damm errichten. Dazu braucht es gut ausgerüstete Streitkräfte im Interesse eines sicheren Europas und einer starken NATO. Es braucht eine zielorientierte, demokratische und selbstbewusste Europäische Union, die auf der Weltbühne eine größere Rolle übernimmt. Und es braucht das fortgesetzte Engagement der Niederlande, ihrer breiteren internationalen Verantwortung gerecht zu werden. Internationale Zusammenarbeit in Form von Hilfe und Handel trägt zu Frieden, Sicherheit und einer menschenwürdigen Existenz auf der ganzen Welt bei.
Eine direkte Folge des Kriegs und der internationalen Sanktionen gegen Russland sind die enormen Preissteigerungen bei Gas, Strom und Lebensmitteln. Daraus ergeben sich starke Belastungen für Personen, Familien und Unternehmen. Finanzielle
Probleme führen zu mehr Schulden, Insolvenzen, Gesundheitsproblemen und Kinderarmut. Es ist schmerzlich, dass immer mehr Menschen in den Niederlanden ihre Miete, ihre Einkäufe, ihre Krankenversicherungsbeiträge und ihre Energierechnung kaum noch bezahlen können. Darum hat die Regierung ein Maßnahmenpaket mit einem beispiellosen Umfang von über 18 Milliarden Euro geschnürt, das vor allem den Beziehern niedriger und mittlerer Einkommen zugutekommen soll. Doch selbst damit können nicht alle Preissteigerungen für alle vollständig ausgeglichen werden.
Einige Maßnahmen werden kurzfristig wirksam. Die Regierung bereitet eine Deckelung der Energiepreise vor, damit die Menschen auch künftig ihre Energierechnung bezahlen können. Die Steuersenkung auf Brennstoffe sowie die Regelung zum Energiekostenzuschuss gelten 2023 fort, außerdem steigen im nächsten Jahr der Gesundheitskostenzuschuss und die Ausbildungsgrundförderung. Zur Finanzierung dieser Maßnahmen wird unter anderem ein vorübergehender Zusatzbeitrag von den Gas- und Ölunternehmen erhoben. Darüber hinaus wird es strukturelle Einkommensverbesserungen für Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen geben. Zum 1. Januar steigen der Mindestlohn und die daran gekoppelten Leistungen um 10 Prozent. Das Wohngeld und der elterneinkommensabhängige Teil des Kindergeldes werden erhöht. Für Erwerbstätige sinkt die Einkommensteuer und steigt der Arbeitnehmerfreibetrag, damit sich Arbeit stärker lohnt. Diese Maßnahmen werden unter anderem durch höhere Steuern auf Gewinne und Vermögen finanziert, wobei kleine und mittlere Unternehmen weitestmöglich ausgenommen werden. Selbstverständlich unterstützt die Regierung die Einwohner der karibischen Niederlande auf Bonaire, Sint Eustatius und Saba, die ebenfalls mit steigenden Preisen konfrontiert werden.
Bei alldem strebt die Regierung stets finanzielle Ausgewogenheit an. Die Kaufkraft zu verbessern ist dringend notwendig. Zugleich wäre es unverantwortlich, die Jüngeren von heute die Zeche zahlen zu lassen oder notwendige Maßnahmen auf später zu verschieben. Die Zukunftsagenda duldet keinen Aufschub.
Die Regierung wird alles daransetzen, breiten Rückhalt für die Bekämpfung des Stickstoffproblems zu bekommen. Die Emissionen von Industrie und Verkehr, aber auch der Landwirtschaft müssen reduziert werden. Es geht darum, den Zustand unserer Natur zu verbessern, die Vitalität des ländlichen Raums zu erhalten und unseren Bauern eine gute Zukunft zu ermöglichen. Die Halbierung der Stickstoffemissionen ist hierfür unerlässlich, nicht zuletzt auch zur Umsetzung von Gerichtsurteilen und um zu verhindern, dass überhaupt keine Genehmigungen mehr erteilt werden können. Gleichzeitig herrscht verständliche Erregung unter Landwirten, die um den Fortbestand ihres Betriebs bangen, auf den sie so stolz sind und der sich oft schon seit Generationen in Familienbesitz befindet. Die Umstellung auf eine kreislauforientierte Landwirtschaft verlangt ihnen viel ab, bietet ihnen aber eine Perspektive auf eine Zukunft mit gutem Auskommen. Im nächsten Jahr gilt es, genügend Zeit in die präzise Ausarbeitung der Maßnahmen für die einzelnen Gebiete zu investieren. In manchen Fällen reicht die Umstellung auf eine andere Art der Betriebsführung aus, in anderen sind neue Technologien, eine Verlegung des Betriebs oder auch ein Aufkauf die beste Lösung. Auch Banken, Futtermittelhersteller, Supermärkte und Verbraucher haben eine Verantwortung zu tragen. Im kommenden Jahr wird die Regierung weiter mit allen beteiligten Akteuren an gemeinsamen Lösungen arbeiten.
Der Klimaschutz und die Energiewende sind dringlicher denn je angesichts der aktuellen Fragen rund um den Gasvorrat für den bevorstehenden Winter und unsere Abhängigkeit von russischem Gas. Hier sind verschiedene Maßnahmen vonnöten. Gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedstaaten erarbeiten wir Möglichkeiten zur Einsparung von Energie und zur Beschleunigung des Umstiegs auf saubere Energieträger. Die niederländischen Gasspeicher sind gut gefüllt und werden noch weiter bevorratet. Bis Ende dieses Jahres wollen wir in den Niederlanden von fossilen Brennstoffen aus Russland unabhängig sein. Zugleich müssen wir aber auch die langfristigen Entwicklungen im Auge behalten, denn die Zukunft wartet nicht. Wenn wir unsere CO2-Emissionen wie geplant bis 2030 um 60 Prozent senken wollen, müssen wir jetzt handeln. Die Regierung richtet den Fokus auf die rasche Ökologisierung der Industrie, den Ausbau der Windenergie und des grünen Wasserstoffs und auf eine neue Rolle für die Kernenergie. Wer sein Haus oder seine Wohnung energetisch sanieren will, kann dafür Fördermittel erhalten. Der trockene Sommer in diesem Jahr hat noch einmal gezeigt, wie wichtig es ist, auf extreme Witterungsbedingungen vorbereitet zu sein und sich an den Klimawandel anzupassen.
Eine wichtige Zukunftsfrage ist, wie eine gute und individuelle Gesundheitsversorgung für alle verfügbar und bezahlbar bleibt. Dafür gilt es neue Lösungen zu finden. Zentrales Element sind dabei passende Gesundheitsleistungen. Das bedeutet: für jeden die richtige Leistung am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt. Indem die Rolle der Hausärzte und der häuslichen Krankenpflege gestärkt wird, können mehr Menschen die Leistungen in vertrauter Umgebung in Anspruch nehmen. Auf der Grundlage des Präventionspakts fördert die Regierung auch weiterhin sportliche Betätigung und einen gesunden Lebensstil, denn Vorbeugen ist und bleibt besser als Heilen. Wir haben das Coronavirus noch nicht besiegt, und natürlich bereitet sich die Regierung auch auf mögliche neue Pandemien vor.
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist prekär. Für immer mehr Menschen ist guter und bezahlbarer Wohnraum zur Miete oder zum Kauf außer Reichweite. Es trifft vor allem junge Leute und andere, die zum ersten Mal mieten oder kaufen wollen. Das dürfen wir nicht einfach hinnehmen. Jeder hat Anrecht auf Wohnraum in einem sicheren und lebenswerten Umfeld mit guter Verkehrsanbindung; dies zu gewährleisten ist eine der Kernaufgaben des Staates. Die Regierung zieht die Regie über das Wohnungswesen und die Raumordnung wieder an sich. In der Nationalen Wohn- und Bauagenda ist das Ziel verankert, bis Ende 2030 900.000 neue Wohnungen zu schaffen. In der Praxis gestaltet sich dies schwierig, aber die Wohnungsnot ist groß, und darum ist ein höheres Tempo beim Wohnungsbau dringend nötig. Diese Beschleunigung einschließlich zugehöriger Infrastruktur und Mobilitätsangebote will die Regierung zusammen mit den Provinzen, Gemeinden, Wohnungsbaugesellschaften und der Baubranche realisieren.
Eine weitere Kernaufgabe des Staates ist die Gewährleistung der Sicherheit in einem starken und gut funktionierenden Rechtsstaat. Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität hat höchste Priorität. Das Geschäftsmodell organisierte Kriminalität muss auf nationaler wie internationaler Ebene durchkreuzt werden. Es muss viel einfacher werden, kriminell erlangtes Vermögen einzuziehen und zu verhindern, dass Täter ihre kriminellen Machenschaften von der Gefängniszelle aus fortführen. Die Regierung investiert beträchtliche Mittel in die Verbesserung des Schutzes der Hüter unseres Rechtsstaats, also etwa von Anwälten und Richtern, Politikern und anderen Entscheidungsträgern oder Journalisten. In allen Bereichen stehen Mittel für mehr Personal und neue Technologien zur Verfügung, von der Staatsanwaltschaft bis zu den Gerichten, von der Polizei bis zur Steuerfahndung und vom Strafvollzug bis zur Straffälligenhilfe. Auf dem Gebiet der Prävention wird mit vereinten Kräften durch Ausbildung und Arbeit sowie geeignete Begleitung versucht zu verhindern, dass junge Menschen in die Kriminalität abgleiten. Darüber hinaus will die Regierung den Zugang zum Recht verbessern. Die Gerichtsgebühren für Bürger und kleine und mittlere Unternehmen werden gesenkt, und die Vergütungen für Rechtsanwälte, die für finanziell bedürftige Mandanten tätig werden, steigen.
Alle Einwohner der Niederlande müssen zu ihrem Recht kommen können, und die Regierung sieht sich in der uneingeschränkten Pflicht, den Bewohnern des Erdbebengebiets in der Provinz Groningen und den Geschädigten der Affäre im Zusammenhang mit Kinderbetreuungszuschüssen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es bleibt schmerzlich und beschämend, dass so viele Personen und Familien durch Fehler und Versäumnisse von Behörden in große Schwierigkeiten geraten sind. Alle Bemühungen sind darauf gerichtet, so schnell wie möglich Abhilfe zu schaffen und die Betroffenen zu entschädigen. Trotz des Einsatzes von viel Personal und Geld ist dies leider ein zeitaufwendiger Prozess. Um eine Wiederholung solcher schlimmen Vorgänge in Zukunft zu vermeiden, unternimmt die Regierung Anstrengungen, die Behördenarbeit zu verbessern und damit nach Möglichkeit Vertrauen wiederherzustellen. Die Vorschriften können und müssen vereinfacht und weniger rigoros ausgestaltet werden, damit beispielsweise Sozialhilfeempfänger nicht sofort in Schwierigkeiten geraten, wenn sie einmal außer der Reihe in den Genuss einer kleinen Zuwendung kommen.
In diesem Sommer entstand in kurzer Zeit ein Mangel an Unterkünften für Asylbewerber, was zu inakzeptablen Situationen geführt hat, sowohl für die Menschen, die bei uns Schutz suchen, als auch für die Mitarbeiter vor Ort und die Anwohner. Die Regierung ist sich ihrer Verantwortung hierfür bewusst und versucht gemeinsam mit Gemeinden und anderen Organisationen, geeignete Lösungen zu finden. Unser Asylsystem beruht nach wie vor auf dem Grundsatz, dass wir Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Unterdrückung fliehen, immer Unterschlupf gewähren. Wer bleiben darf, erhält alle Rechte und Pflichten, die mit einer vollwertigen gesellschaftlichen Teilhabe und Integration verbunden sind.
In die Zukunft unseres Landes zu investieren beginnt damit, gute und zugängliche Bildung anzubieten. Chancengleichheit heißt, dass sich jedes Kind optimal entfalten kann, und das setzt voraus, dass es gut lesen, schreiben und rechnen lernt. Das hat für die Regierung allerhöchste Priorität. Es stehen Mittel zur Verfügung, um gemeinsam mit Gemeinden und gesellschaftlichen Organisationen Hausaufgabenbetreuung, Sportmöglichkeiten und andere Angebote für Kinder und Jugendliche bereitzustellen, für die das nicht selbstverständlich ist. Darüber hinaus investiert die Regierung in die Verbesserung der Durchlässigkeit des Bildungswesens, damit Schüler im passenden Moment einen Bildungsweg auf dem für sie besten Niveau einschlagen können. Im berufsbildenden Unterricht, im Hochschulwesen und in der Forschung schaffen hohe Investitionen mehr Raum für Lernende und Lehrende. Mit der Wiedereinführung der Ausbildungsgrundförderung im Tertiärunterricht ab dem Studienjahr 2023/24 soll verhindert werden, dass junge Leute aus finanziellen Gründen auf ein Studium verzichten.
Wenn wir an einer von Innovation und unternehmerischer Initiative geprägten Zukunft bauen wollen, brauchen wir eine gut ausgebildete Erwerbsbevölkerung. Die niederländischen Unternehmen und ihre Beschäftigten haben während der Coronakrise große Stärke bewiesen. Es ist bitter, dass viele Unternehmen nun angesichts der aktuellen Kostenexplosionen erneut in so schweres Fahrwasser geraten. Vor allem im Mittelstand, der für unser Land eine so wichtige Rolle spielt, haben viele Unternehmer zu kämpfen. Es braucht eine Stärkung des KMU-Unternehmensklimas, etwa durch einen besseren Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten und durch die Förderung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Auch in unsere künftige Wertschöpfungsfähigkeit wird die Regierung weiter investieren. Es kommt darauf an, attraktive Standortbedingungen zu schaffen, Unternehmen der Topsektoren und innovativen Start-ups Raum zu bieten und alle Chancen zu nutzen, die uns die Digitalisierung eröffnet. Wichtig ist aber auch ein gut funktionierender Arbeitsmarkt, gerade jetzt, da in vielen Branchen Personalmangel herrscht. Die Festanstellung muss nach Überzeugung der Regierung zum Normalfall werden; daher strebt sie eine neue Balance zwischen festen und flexiblen Arbeitsverträgen an. Gute Arbeitgeberpraxis zahlt sich aus, und auch Arbeitsmigranten verdienen es, anständig behandelt zu werden. Um Eltern zur Aufstockung ihrer Wochenarbeitszeit zu ermutigen, wird der Zuschuss zu den Kosten der Kinderbetreuung im Laufe dieser Legislaturperiode so weit erhöht, dass die Kosten für alle erwerbstätigen Eltern fast vollständig erstattet werden. Außerdem arbeitet die Regierung an einem neuen, zukunftsfesten Rentensystem, das besser auf einen Arbeitsmarkt abgestimmt ist, in dem die meisten Erwerbstätigen im Laufe ihres Lebens für mehrere Arbeitgeber tätig sind. Das neue System bietet Aussicht auf eine frühere Indexierung und verschafft den Beitragszahlern einen besseren Einblick in ihre bislang erworbenen Rentenanwartschaften.
Pläne der Regierung, das lässt sich nicht vermeiden, werden oft in Geldbeträgen, Zahlen und Jahresangaben ausgedrückt. Worum es aber im Kern geht, ist die Qualität unserer Gesellschaft. Dafür ist eine lebendige und für alle zugängliche Kultur- und Kreativwirtschaft unverzichtbar, und gerade sie hatte unter der Coronapandemie besonders schwer zu leiden. Die Regierung investiert darum in die Wiederbelebung, die Erneuerung und das Wachstum der Branche, denn Kultur konfrontiert, ermöglicht das Gespräch über schwierige Themen und verbindet Menschen.
Eine Gesellschaft, in der für Rassismus und Diskriminierung kein Platz ist und in der sich alle gehört und anerkannt fühlen, muss auch ein waches Auge für die weniger erfreulichen Seiten unserer Geschichte haben. Das heißt nicht, aus der Warte von heute über unsere Vorfahren zu urteilen, sondern einen Blick und ein Gefühl dafür zu haben, welche Empfindungen unsere Geschichte bei den verschiedenen Gruppen und Kulturen hervorruft, die Teil unserer Gesellschaft sind. Das gilt ausdrücklich für das gesamte Königreich und für alle Länder, mit denen wir aufgrund der Geschichte in einer besonderen Beziehung stehen. Mit diesem Dialog über die Vergangenheit will die Regierung zur notwendigen Anerkennung und Verbindung zwischen Menschen beitragen. So schwer und emotional dieser Dialog mitunter auch sein mag – unser Blick auf die Vergangenheit darf nicht statisch sein. Die Regierung hat sich bereits zum Handeln der niederländischen Behörden während der Judenverfolgung und zur extremen Gewalt seitens der Niederlande im indonesischen Entkolonisierungsprozess geäußert. Im Vorfeld des Gedenkens an die Abschaffung der Sklaverei vor 150 Jahren im kommenden Jahr haben wir erneut Anlass, uns selbst auch über diesen Teil unserer Geschichte Rechenschaft zu geben.
Mitglieder der Generalstaaten!
»Gemeinsam arbeiten wir für das Wohl der Niederlande« – so sprach meine Großmutter im Jahr 1948. Worte von zeitloser Aktualität. Lassen Sie uns in diesen unsicheren Zeiten Hoffnung und neues Vertrauen aus dem Wissen schöpfen, dass sich gesellschaftliche Veränderungen in unserem Land immer schrittweise und gemeinschaftlich vollziehen. So war es in der Vergangenheit, und so ist es auch heute. In diesem Geiste will die Regierung gemeinsam mit Ihnen und allen positiven Kräften in unserem Land weiter an Lösungen für die Gegenwart und für eine gute Zukunft für alle Einwohner des Königreichs arbeiten. Sie können sich in Ihrer wichtigen Arbeit auf die Gewissheit stützen, dass viele Ihnen Weisheit wünschen und mit mir um Kraft und Gottes Segen für Sie beten.